Rückschau Auschwitz-Fahrt

Im Jahr 2021 fuhren während der Herbstferien, vom 18. - 24. Oktober, 22 Jugendliche und junge Erwachsene mit uns nach Auschwitz. Wir wollten jungen Leuten die Möglichkeit bieten, sich intensiv mit diesem Teil deutscher Geschichte auseinanderzusetzen, denn als sich 2020 das Ende des Zweiten Weltkrieges zum 75. Mal jährte, war dies auch ein Rückblick auf eine 75-jährige Friedenszeit. Für unsere Jugend schien dies eine Selbstverständlichkeit zu sein, doch Frieden ist brüchig und unsere liberale Demokratie angreifbar. Daher gilt es, sich für beide stark zu machen. Das wollten wir den Jugendlichen an diesem geschichtsträchtigen Ort vermitteln und zeigen, was Diktatur, Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus bewirken.

Für die Teilnehmer:innen war diese Fahrt eine emotionale Herausforderung, denn durch die Projektarbeit an einem Ort, der schockiert, der aufzeigt, wozu Menschen in der Lage sind, wurden sie nicht nur über die Vergangenheit informiert, sondern haben sich aktiv mit den Ursachen und Folgen eines totalitären und verbrecherischen Regimes auseinandergesetzt.

Bereits im Vorfeld hatten sie sich in zwei Seminaren mit den Hintergründen des Vernichtungslagers beschäftigt, im Anschluss an die Fahrt in zwei weiteren Seminaren ihre Eindrücke verarbeitet und in diversen Dokumentationen festgehalten. Einen Teil der Dokumentationen zeigen wir weiter unten auf dieser Seite, die wichtigste Dokumentation hingegen ist eine Wanderausstellung von zwölf Roll-Ups, die im September 2022 der Öffentlichkeit vorgestellt wird und ab 1. Januar 2023 von allen Interessierten ausgeliehen werden kann.

Die positiven Rückmeldungen der TeilnehmerInnen zu dieser Fahrt sind für uns der Auftrag, sie nun jährlich, immer in den Herbstferien, anzubieten. Nähere Informationen zu der jeweils aktuellen Ausschreibung finden Sie oben im Reiter "Exkursionen" und dem Unterordner "Schulen und Gruppen" bzw. unter https://www.sdsaar.de/exkursionen/schueler-und-gruppen/

Impressionen

TeilnehmerInnenberichte

Julia Goncalves, Amerikanerin, 23 Jahre

Warum habe ich mich für diesen Besuch entschieden?
Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Soweit ich mich erinnern kann, hatte ich immer schon Interesse am Thema „Holocaust" und an der deutschen Geschichte. Sicher hat mich mein Vater dazu motiviert. Er hatte als Chirurg in der Armee gedient und ein Jahr in Deutschland verbracht. Als ich noch ein Kind war, hat er mir sehr viel von seinen Ausflügen in Europa erzählt. Im Februar 1990 waren meine Eltern nach Polen gefahren, um das KZ Auschwitz zu besuchen. Davon haben sie mir erzählt. Zusätzlich habe ich an der Schule in den USA Bücher gelesen, zum Beispiel: Eli Wiesel „Die Nacht" und John Boyne „Der Junge im gestreiften Pyjama". Diese Bücher haben mich stark beeinflusst. Eine weitere Motivation nach Auschwitz zu fahren sehe ich darin, dass ich schon einmal ein KZ besucht habe, und zwar Dachau. Im Sommer 2017 flog ich nach Deutschland um ein Auslands-studium zum Thema „Nachhaltigkeit" zu absolvieren. Eine Woche verbrachten wir im Deutschen Museum in München und hatten dann Gelegenheit, an einem Tagesausflug nach Dachau teilzunehmen. Im KZ ging ich dann auch in die ehemalige Gaskammer. Das hat mich wirklich entsetzt. Obwohl der Tag in Dachau doch sehr bedrückend war, finde ich es wichtig, Konzentrationslager zu besuchen, damit wir niemals vergessen, was dort passiert ist.

Welche Eindrücke konnte ich bei dieser Fahrt gewinnen?
Am 1. Tag haben wir das Stammlager Auschwitz I besucht. Wir standen noch eine Weile im Freien und warteten auf unsere Führerin. Woran ich sofort dachte, war das Wetter. Es war schon Herbst, das heißt, vormittags war es schon ziemlich kalt. Aber ich hatte mich warm angezogen und eine dicke Jacke an, sodass ich nicht zu frieren brauchte. Während wir warteten, dachte ich über die Situation der Opfer in Auschwitz nach. Die Opfer mussten dünne Kleidung tragen, die ihnen auch nicht richtig passte. Jetzt war es erst Herbst, und im Winter würde es wesentlich kälter sein. Ich fragte mich, wie die Opfer den Winter überleben konnten. Offensichtlich kann ich meine Situation mit der der Opfer nicht vergleichen. Aber hier fängt man schon an ein kleines bisschen zu verstehen, wie schrecklich die Lebensbedingungen für die Opfer waren.
 
  
   Als wir durch die Gebäude des KZs gingen, sahen wir die riesigen Berge von Schuhen, Brillen, Schüsseln und Koffern, auch die Haare von 40.000 Frauen. In einem anderen Gebäude gingen wir durch einen Flur, in dem die Wände voll mit Fotos der Opfer waren. Das war ein sehr trauriges und einschneidendes Erlebnis für mich. Zu Hause in der Schule mussten wir Tatsachen über den Holocaust auswendig lernen, z. B., dass 6 Millionen Menschen während des Holocaust ermordet wurden. Diese Zahl ist komplett unbegreiflich. Aber wenn man die Berge von Sachen und die Gesichter der Opfer sieht, fängt man an zu verstehen. Die Zahl bedeutet auch gleichzeitig verlorene Zukunft, verlorene Geschichten, verlorene Leben.
Am 2. Tag unserer Studienfahrt besuchten wir Auschwitz II Birkenau. Mir fiel sofort auf, wie riesig dieses KZ war. In der Schule habe ich Bilder von diesem KZ gesehen, aber die Perspektive ist eine ganz andere, wenn man dort steht. Man fühlt sich sehr, sehr klein. Sobald man das Gelände betritt, bekommt man ein dunkles und düsteres Gefühl. Die vier Krematorien wurden noch vor der Befreiung des Lagers durch die sowjetische Armee zerstört. Es sind nur noch die Trümmer zu sehen. Auschwitz II Birkenau ist wie ein großer Friedhof.   


Während des Besuchs nahmen wir an Workshops und Präsentationen teil, die die Geschichten der Opfer und der Täter behandelten. Einer dieser Workshops hieß „Ganz normale Menschen". Er zeigte, wie grausam und unmenschlich die Täter waren. Manchmal denkt man, so etwas kann und darf nie mehr passieren. Aber diese Meinung hat der Workshop widerlegt. In diesem Moment wurde mir klar, warum es immer noch wichtig ist, über den Holocaust zu sprechen. Jeder Mensch hat die Fähigkeit etwas ganz Entsetzliches zu machen, aus ganz normalen Menschen können Mörder werden. Damit so etwas nie wieder passiert, sollten wir nicht gleichgültig sein und alles in unserer Gesellschaft hinterfragen.

Was habe ich von Auschwitz mitgenommen?
Ich habe sehr viel mitgenommen. Ich bin der Meinung, dass jeder Mensch einmal im Leben nach Auschwitz fahren sollte. Die Fahrt hat meine Lebensperspektive komplett geändert. Ich könnte den ganzen Tag über die Fahrt sprechen, aber ich will mit Ihnen zwei Eindrücke teilen:
Der erste Eindruck handelt von den TeilnehmerInnen der Fahrt. Ich war überrascht, dass so viele SchülerInnen mitgemacht haben. Sie haben sich dafür entschieden, eine Woche ihrer Herbstferien in Auschwitz zu verbringen, um über die Geschichte des Holocaust zu lernen. Das ist wirklich kein kleines Ding. Deshalb bin ich sehr stolz auf diese Gruppe von jungen Leuten. Diese Generation gibt mir Hoffnung, Hoffnung auf eine bessere Zukunft, Hoffnung auf eine Welt ohne Gewalt und Völkermord, und Hoffnung auf eine Welt mit mehr Mitgefühl.
Beim zweiten Eindruck, den ich mit Ihnen teilen möchte, geht es darum, was AmerikanerInnen von den Deutschen lernen können. Obwohl für die TeilnehmerInnen an der Fahrt der Holocaust bereits 80 Jahre zurückliegt, wissen sie, dass der Holocaust ein Teil der deutschen Geschichte ist, ihrer Geschichte. Deshalb sehen sie es als ihre Verantwortung darüber zu lernen um sicher zu gehen, dass so etwas nie wieder passieren wird. Die Deutschen versuchen nicht, ihre Geschichte zu ignorieren oder zu vergessen, sondern davon zu lernen.
In den USA wollen viele von ihrer eigenen Geschichte nichts wissen. Wir wollen lieber unsere eigene Geschichte von dem Völkermord der Native Americans und von der Sklaverei der Afroamerikaner*innen vergessen. Warum? Weil es unangenehm ist sich daran zu erinnern. Wir wollen immer als Helden dargestellt werden, aber wir sollten nicht vergessen: Wir waren auch Täter.
In der deutschen Sprache gibt es ein sehr gutes Wort, das dieses Phänomen beschreibt: Vergangenheitsbewältigung.

Die Veranstalter

Die Fahrt wurde von der Stiftung Demokratie Saarland in Kooperation mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge veranstaltet und von dem Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk (IBB), dem Ministerium für Bildung und Kultur des Saarlandes sowie der Montanstiftung Saar gefördert.